Wenn es einen innersten Kern christlicher Werte gibt, dann finden wir ihn wohl in Lukas 6 in den Versen 27 und 28. Dort sagt Jesus die revolutionären Worte: "Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!" Auch andere Religionen und Weltanschauungen kennen den Wert der Nächstenliebe. Aber die Feindesliebe ist schon etwas Besonderes. Hier setzt Jesus einen Maßstab, der einzigartig ist.
Diese Worte waren immer eine Herausforderung und sind es auch heute, in einer Zeit, die reich an Konflikten und schwierigen Begegnungen ist.
Habe ich Feinde?
Diese Frage stelle ich mir eigentlich immer, wenn ich diese Worte lese. Und die Antwort ist, nein, niemand will mir Böses und dafür bin ich sehr dankbar. Aber dann fällt mir ein, wie wir neulich auf einer Feier auf Politik zu sprechen kamen. Plötzlich wurde ein sonst angenehmer Zeitgenosse laut und baute sich bedrohlich vor mir auf. Ich hatte wohl etwas gesagt, was ihn fürchterlich ärgerte, und er begann, mich anzuschreien. Ich blieb ruhig und später entschuldigte er sich für diesen Ausbruch.
Er war also nicht mein Feind geworden, aber ich hatte erlebt, wie schnell manche Menschen heute aus der Haut fahren. Ich fürchte, wer offen über seine politischen Standpunkte spricht, wird gerade in den Wochen vor der Bundestagswahl Erfahrungen machen, die ihn zur Feindesliebe herausfordern werden.
Liebe baut Brücken
Mir scheint, in dieser Zeit ist es besonders wichtig, aktiv Brücken zu bauen. Das heißt, auch denen Gutes zu tun, die uns nicht wohlgesinnt sind, und zum Beispiel freundlich zu bleiben, auch wenn uns jemand unfreundlich begegnet. Oder Hilfe anzubieten, selbst wenn jemand diese Hilfe nicht verdient hat. Und denen Respekt zu zeigen, deren Auffassungen wir ablehnen.
Segen statt Fluch
Mit der oben genannten Erfahrung habe ich leider etwas zu kämpfen gehabt. Ich spürte Zorn und Bitterkeit, die ich länger nicht loswurde. Deshalb geht Jesus noch weiter: Er bezieht unsere innersten Gedanken in die Feindesliebe ein: "Segnet die, die euch verfluchen. Bittet für die, die euch beschimpfen." Gemeint ist, wir sollen einem Menschen, der uns feindlich gesinnt ist, im Gebet Gutes wünschen. Wir sollen seine Nöte und Probleme zu unseren eigenen machen und Gott im Gebet um Hilfe für ihn bitten.
Das ist nun wirklich radikal, aber nur so treten wir aus dem Kreislauf des Negativen heraus und werden frei für Versöhnung, in der Hoffnung, dass sich auch der andere für Versöhnung öffnet.